28. Mai 2020: Impulsvortrag und Bildgebung
afo architekturforum oberösterreich
Herbert-Bayer-Platz 1, 4020 Linz
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Donnerstag | 28.5.2020 | 19:00 bis 21:00Veranstalter: Smart Village GötschkaOrt: Web-Veranstaltung via Zoom und Miro-Board
Schwerpunkt: Mobilität am Land
Impulsreferat: Tobias Haider (mobyome)Moderation: Luise Ogrisek, Text: Tobias Hagleitner
Nach den krisenbedingt notwendigen Verschiebungen im März und April wurde mit dem Schwerpunkt „Mobilität am Land“ die Veranstaltungsreihe zur generationengerechten Siedlungsentwicklung am Land wieder aufgenommen – allerdings im digitalen Raum. Knapp zwanzig Teilnehmende folgten der Einladung und diskutierten mit dem Mobilitätsexperten Tobias Haider von mobyome, einem Sozialunternehmen mit Sitz in Wien, das sich seit fünf Jahren mit kollektiver Mobilität und insbesondere mit der Frage des Bedarfsverkehrs – auch Mikro-ÖV genannt – im ländlichen Raum beschäftigt (www.mobyome.at).
Nach kurzer „Aufwärmzeit“, um sich mit den Gegebenheiten im virtuellen Konferenzraum vertraut zu machen, konnte das Programm wie gewohnt mit der vorbereitenden Diskussion in Kleingruppen beginnen: Welche Bedürfnisse an Mobilität sind vorhanden? Welche Angebote und Verbesserungen wären notwendig? Was sind die wichtigsten Fragen und Unklarheiten in Bezug auf neue Mobilitätsformen?
In Österreich leben gut zwei Drittel der Bevölkerung außerhalb der großstädtischen Zentren. Zwei Drittel der Wegstrecken werden in diesen Räumen mit dem privaten Pkw zurückgelegt. Das heißt, erläutert Tobias Haider, dass gerade in den ländlichen Regionen dringend Handlungsbedarf besteht, um die Reduktionsziele zum Klimaschutz zu erreichen. Die Errichtung eines leistungsfähigen öffentlichen Verkehrsnetzes gestaltet sich aber schwierig, weil die dafür notwendige räumliche Dichte nicht gegeben ist. Grundsätzlich gelte für die notwendige Verkehrswende der Dreischritt: vermeiden, verlagern, verbessern.
Vermeiden: Wenn eine gute lokale Versorgung vorhanden ist, von Freizeit über Bildung und Arbeit bis zum Einkaufen, entfallen viele Wege. Die Vermeidung von Verkehr ist auch von vorausschauender und konsequenter Raumplanung abhängig, dass Wohngebiete wie Betriebsansiedlungen an geeigneten Standorten entstehen und die Zersiedelung eingedämmt wird. Potenzial liegt zudem in den Werkzeugen der Digitalisierung, die Teleworking und virtuelle Konferenzen ermöglicht, aber auch logistisch optimierte Zustelldienste, die den individuellen Versorgungsverkehr teilweise ersetzen. Verlagern: Viele Wege, die gewohnheitsmäßig mit dem Automobil bewerkstelligt werden, lassen sich auch zu Fuß oder mit dem Rad (und E-Bike) zurücklegen. Vor allem dann, wenn die Infrastruktur für diese aktive Mobilität attraktiv und praktikabel ausgebaut ist. Der eigene Pkw ist aber für die meisten erst dann entbehrlich, wenn das alternative Mobilitätsangebot tatsächlich lückenlos ist. Das betrifft vor allem die sogenannte „letzte Meile“, also den individuellen Bedarfsverkehr abseits hochfrequenter Öffi-Routen. Hier sind u. a. geteilte Mobilitätsformen eine Option: etwa verschiedene Formen des Carsharing oder in bestimmten Fällen, etwa für größere Unternehmen oder stark frequentierte Pendelstrecken, Mitfahrgemeinschaften. Verbessern: Innovative Fahrzeugtechnologie, leichtere Bauweisen, Steigerung der Effizienz und selbstverständlich auch die Elektrifizierung der Antriebe sind integraler Bestandteil beim Umstieg auf eine umweltfreundliche Mobilität, nicht jedoch die alleinige Lösung.
Mobyome hat eine Datenbank entwickelt, die einen Überblick über die riesige Vielfalt an Bedarfsverkehrsangeboten in derzeit etwa 670 Gemeinden in ganz Österreich bietet. Allein etwa hundert Carsharing-Angebote werden gezählt. Tobias Haider stellt den Gmoabus im Burgenland, das ElektroMobil Eichgraben oder das ISTmobil, das bereits in mehreren Regionen Österreichs etabliert wurde, als interessante Beispiele der letzten Jahre näher vor. Es ist ein erster Anfang. Wirklich breitentauglich und ökologisch relevant werden die Angebote erst im Verbund von Alternativen, die – nicht zuletzt mit digitalen Werkzeugen – optimal verknüpft werden und praktikable Anschlüsse und Lückenschlüsse innerhalb der Wege garantieren. Entscheidend wird auch sein, wie sich in der abschließenden Diskussionsrunde herausstellt, dass die regional spezifischen Angebote wechselseitig nutzbar, in gewisser Weise standardisiert und zum Beispiel mit dem von der Regierung geplanten 1-2-3-Ticket einheitlich konsumierbar werden.
Was all diese Erkenntnisse ganz konkret für eine Siedlung wie Götschka bedeuten könnten, das wird beim nächsten Termin, 4. Juni 2020 um 19 Uhr (ebenfalls im Web), besprochen, wenn das Schwerpunktthema „MOBILITÄT AM LAND“ für Empfehlungen und zur Meinungsbildung vertieft wird.
04. Juni 2020: Meinungsbildung und Empfehlungen
Moderation: Luise Ogrisek, Text: Tobias Hagleitner
Jeder der fünf Themenkreise im Rahmen des soziokratischen Beteiligungsprozesses wird an zwei Abenden bearbeitet. Während im ersten „Durchgang“ Erfahrungsaustausch und Wissensbildung im Vordergrund stehen, wird beim zweiten Mal jeweils vertiefend diskutiert, um die Meinungslage zu präzisieren und Empfehlungen zu formulieren, wie sich eine gute Zukunft am Land, in einem Smart Village, gestalten ließe.
Das zweite Treffen zum Thema Mobilität fand wiederum online statt. Auf Basis des vorangegangenen Impulsabends zu Alternativen abseits des motorisierten Individualverkehrs arbeiteten die TeilnehmerInnen in drei Arbeitsgruppen Zukunftsszenarien und konkrete Vorschläge aus.
Empfehlungen „Individualverkehr am Land“
Der ländliche Raum braucht neben Verkehrsvermeidungsstrategien (Teleworking, moderne Zustelllogistik, Funktionsmischung etc.) und attraktiven ÖV-Angeboten auch in Zukunft individuell gestaltbare Mobilitätslösungen. Entscheidend ist die Multimodalität: möglichst niederschwelliger Zugang zu unterschiedlichen Mobilitätsangeboten, beste Verknüpfbarkeit, geringster Zeitverlust, attraktiver Preis.
Für die konkrete räumliche Gestaltung ist eine Priorisierung der Verkehrsarten wichtig: 1. Gehen: fußläufige Distanzen so attraktiv und sicher, dass Gehen im Nahbereich bevorzugt wird (z. B. die Wege zur Haltestelle, in den Ortskern etc.); 2. (E-)Radfahren: optimale Wege, Stellplätze, Lastenradangebote, Servicestellen etc.; 3. attraktive ÖV-Angebote; 4. Mitfahrgemeinschaft, Carsharing, Car-Pooling & Co; auf letzter Stufe der private Pkw. Individuelle Zeiteinteilung wird auch möglich durch umfassende Information innerhalb der jeweiligen Siedlung (z. B. durch einen zentralen Infoscreen): Wann fahren Bus und Bahn? Welche Carsharing-Fahrzeuge sind verfügbar? Aber z. B. auch: Wie ist das Wetter (dann fahre ich heute mit dem Rad)? Gibt es Werkzeug oder andere Güter vor Ort verfügbar (dann brauche ich nichts einkaufen)?
Autonomes Fahren ist als Zukunftsoption zu berücksichtigen, aber wird nur ein Teilbereich innerhalb des multimodalen Angebotsnetzes sein.
Empfehlungen „Öffentlicher Verkehr am Land“
Es ist wichtig, die strikte Unterscheidung von „öffentlichen“ und „privaten“ Mobilitätsformen zu hinterfragen, um das Potenzial neuer Lösungen überhaupt wahrzunehmen. So muss Öffi nicht Starrheit bedeuten und private Verkehrsmittel garantieren noch lange nicht völlige Flexibilität. Einige moderne Mobilitätsangebote (öffentlich oder privat organisierte Formen von Carsharing, Car-Pooling etc.) erweisen sich als interessante Mischformen, die unbedingt mitbedacht werden müssen.
Im „klassischen“ öffentlichen Verkehr gibt es teils unüberwindbare Schwierigkeiten, v. a. bei zersiedelten, räumlich ausgefransten Strukturen, die mit Linienverkehr nicht wirtschaftlich zu bedienen sind.
Bei ländlichen Querverbindungen abseits zentraler Achsen, aber auch bei vorhandenen Hauptrouten besteht noch Ausbaubedarf, was Frequenz, Attraktivität, aber auch Energieeffizienz/Antriebstechnik betrifft.
Ziel muss es sein, fixe Routen mit variablen Angeboten zu mischen. Autonome Fahrzeuge wären hier interessant, am besten kombiniert mit einer Bedarfserfassung in Echtzeit („ich muss zum Zeitpunkt X von Y nach Z“): Inividuelle Anfragen werden intelligent vernetzt und die einzelnen Wege optimal bedient.
Empfehlungen „Güterverkehr am Land“
1. Liefern: morgens Sammelbestellungen, die zeitnah in die Siedlung/Ortschaft geliefert werden; Lieferwagen durch lokale Anbieter (mobile Läden, Bäckereien etc.); Zu überlegen sind zentrale Depots statt Direktlieferung zur Haustür – so eine „Verteilstation“ ließe sich als Verweilort und Treffpunkt gestalten (mit Tee-/Kaffeeecke o. ä.);
2. Nahbereich: Was ist schon da? Was gibt es in der Umgebung? Bedingung sind beste Information über lokale Angebote, sichere (Schnell-)Rad- und Fußwege. Ein Angebot an E-Lastenrädern begünstigt das zusätzlich.
3. Individuelle Transporte im Mittel- und Fernbereich: Gute, gemeinschaftliche Vorausplanung ist entscheidend, um notwendige Verkehre zu bündeln. Kombinierbar mit effizientem Gemeinschaftsfahrzeug: z. B. „Lastenferdl“. 4. Entsorgung: evtl. eigene umfassende Sammelstelle, um Entsorgungsverkehr zu minimieren.
Am 25. Juni 2020, 19 Uhr, wird zum zweiten, vertiefenden Abend zum Thema „GEMEINSCHAFT UND INDIVIDUALITÄT“ geladen.